Die Pressemitteilung
Heute haben Pfinzer und BioNTech SE eine Pressemitteilung mit aufregenden Neuigkeiten veröffentlicht. Nachzulesen ist das hier.
Selbstredend haben sich die Presseagenturen und News-Outlets auf diese Neuigkeit gestürzt und die Meldung beschert uns Schlagzeilen wie „Meilenstein der Impfung bietet 90% Schutz“ (www.bbc.com, 09.11.2020, 17:00 GTM)
„Covid-19-Impfung ist zu 90% wirksam, sagt der Entwickler“ (www.cnn.com, 09.11.2020, 16:00 GTM)
Doch was steht denn wirklich in der Pressemitteilung?
Um das zu beantworten, muss man etwas genauer hinschauen:
Was steht denn da genau?
38.955 Menschen haben jeweils zwei Injektionen bekommen. Von diesen hat die Hälfte zweimal den richtigen Wirkstoff bekommen und die andere Hälfte zweimal ein Placebo.
Bei 94 von diesen 38.955 Menschen wurde später nachgewiesen, dass sie sich mit COVID-19 infiziert haben. Das sind 2,4%.
Aus der vielzitierten 90%-Angabe für die Wirksamkeit kann man davon ausgehen, dass sich von den 19.478 Menschen, die den echten Impfstoff erhalten haben, lediglich 9 infiziert haben, während es in der Placebogruppe 85 Menschen waren: 85/94 = ca. 90%
Das bedeutet wahrscheinlich, dass die Impfung funktioniert und eben das hat Pfizer veranlasst, die Pressemitteilung herauszugeben. Im Großen und Ganzen sind das also gute Neuigkeiten! Man muss aber auch berücksichtigen, dass die Gruppe von insgesamt 94 Erkrankten eher überschaubar ist.
Die Pressemitteilung weist auch darauf hin, dass die Studie erst abgeschlossen ist, wenn insgesamt 164 Studienteilnehmer sich mit COVID-19 infiziert haben.
Die Zahl 164 wurde aller Wahrscheinlichkeit nach gewählt, weil man zu diesem Punkt ziemlich sicher davon ausgehen gehen kann, dass ein Unterschied zwischen den Infektionen in der Impf- und in der Placebogruppe nicht nur dem Zufall geschuldet ist.
Trotzdem liegt noch ein weiter Weg vor uns. Sogar wenn der Impfstoff sich als effektiv und frei von schlimmen Nebenwirkungen erweist, wird es eine ganze Weile dauern, so viel davon zu produzieren, dass die ganze Welt geimpft werden kann.
Was alles noch schief gehen kann, zeigt der rechtliche Hinweis unter der Pressemitteilung anschaulich. Er ist mindestens so lang wie die Pressemitteilung selbst und enthaält so schöne Formulierungen wie “zu den Risiken und Unsicherhieten zählen (...) die Unsicherheiten, welche Forshcung und Entwicklung innewohnen" (Im Orginal: "risks and uncertainties include (…) the uncertainties inherent in research and development”) und "ob und wann irgendeine Anwendung von den zuständigen Behörden zugelassen wird, liegt an unzähligen Faktoren" (Im Original: “whether and when any such applications may be approved by regulatory authorities, which will depend on myriad factors”)
Ich bin verwirrt
Sogar ich als Wissenschaftlerin hatte Schwierigkeiten die Pressemitteilung zu verstehen. Teilweise ist sie verwirrend und überlässt viele Schlussfolgerungen dem Leser. Zum Beispiel: 43.538 Leuten wurde eine erste Dosis verabreicht, aber nur 38.955 die zweite. Wurden die 4.583 Leute, die nur die erste Dosis bekamen, in den Resultaten berücksichtigt?
Anscheinend nicht, da geschlussfolgert wird, dass „die Impfung 7 Tage nach der zweiten Dosis eine Effektivitätsrate von 90% aufweist“.
Es gab „94 auswertbare Fälle“ – heißt das, es gibt auch nicht auswertbare?
Die Antwort wird einem erst klar, wenn man sich das klinische Versuchsprotokoll ansieht, das in der Pressemitteilung verlinkt wird.
Dort wird „auswertbar“ definiert: „keine andere wichtige Protokollabweichungen von den klinischen Anforderungen“ und „Versuchspersonen stimmen mit den Schlüsselkriterien des Protokolls überein“.
Was bedeutet „ungefähr 42% der internationalen und 30% der US-amerikanischen Teilnehmer waren divers in Ethnie und Rasse"?
Was sind denn die 58%/70%, die nicht „divers“ sind? Ich persönlich gehe davon aus, dass mit divers „nicht weiß/kein europäischer Typ“ gemeint ist.
Fazit
Die Medien hätten sich mit ihrem Hype gut und gerne ein bisschen zurückhalten können – immerhin ist das hier immernoch Wissenschaft.
Aber, summa summarum, sind es gute Neuigkeiten, bei denen noch einiges schieflaufen kann.
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Ich möchte mich bei Sam Horrell, Dale Tronrud, Pairoh Seeliger und Florian Platzmann bedanken für anregende Diskussionen und Übersetzungshilfe bedanken.